Nach Jan Wohlgemuth stellen wir heute das dritte Mitglied unserer Jury vor: Michael Mann, Germanist, Sprachblogger und wie Susanne Flach schon zum zweiten Mal dabei. Er promoviert derzeit am Lehrstuhl für Germanistische Sprachwissenschaft der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.
Wir haben mit ihm über die Wörterwahl, sein Blog und seine Forschung gesprochen.
Michael, wo liegt für dich der Reiz der Anglizismus-des-Jahres-Wahl?
Wenn man Leserbriefen, Zeitungskommentaren, vereinzelt sogar vollwertigen Zeitungsartikeln über Anglizismen im Deutschen glaubt, könnte man meinen, alle, die Anglizismen verwenden, seien Grenzdebile auf dem Weg zum Analphabetismus. Außerdem noch gemeingefährlich, da sie die gesamte deutsche Kulturnation mit sich in den Abgrund rissen. Als Sprachwissenschaftler frage ich mich aber: Ist das wirklich so? Gibt es nicht auch Gründe, die dafür sprechen, Anglizismen zu verwenden – und die damit auch erklären können, warum Anglizismen de facto von uns verwendet werden? Und: Ist wirklich die gesamte deutsche Sprache von „Aliens“ unterwandert?
Warum haben gerade die Anglizismen eigentlich so eine schlechte Presse?
Häufig sind die anglizismenkritischen Beiträge irgendwie mit Aktionen des VDS verbunden, der es ganz offensichtlich schafft, den Medien seine relativ platte Botschaft unterzujubeln. Da sollte doch ein Gegengewicht geschaffen werden, damit sensible Zeitgenossen nicht tatsächlich glauben, alle älteren Leute müssten jetzt verhungern, weil sie vor lauter „Sale“-Schildern ihren Bäcker nicht mehr finden. Ich hoffe und denke, dass die Anglizismus-des-Jahres-Wahl so ein kleines (gerne auch größeres) Gegengewicht sein kann. Eine Möglichkeit, den interessierten Sprachteilhabern aufzuzeigen, welche interessanten Eigenschaften Anglizismen aufweisen, welche Lücken sie füllen können, und dass der Wandel der deutschen Sprache ein höchst spannender Vorgang ist – keine Bedrohung oder Verrohung.
Du warst ja auch im letzten Jahr schon dabei. Wie war das?
Mir hat es großen Spaß gemacht, die Anglizismen-Kandidaten unter die Lupe zu nehmen und zu versuchen, ihre Entstehung, Herkunft und Verwendung zu ermitteln und zu analysieren. Ja, als Sprachwissenschaftler kann man sich für so etwas tatsächlich begeistern und stunden- und nächtelang im Internet, in Corpora, in Wörterbüchern wühlen, bis man glaubt, der Verwendung eines Wortes nun wirklich (fast) bis an die Wurzeln nachgefolgt zu sein oder die Verwendungsweise(n) eines Wortes durchschaut zu haben. Andere sammeln halt Porzellan … Ich habe dabei auch das eine oder andere gelernt und hoffe, dass das in diesem Jahr wieder passieren wird.
Wirst du dieses Jahr etwas anders machen?
Vielleicht schaffe ich es, mit der Übung aus dem letzten Jahr den zeitlichen Aufwand etwas geringer zu halten – noch geht die Jurytätigkeit ja nicht mit einer wohldotierten, lebenslangen Vollzeitstelle einher.
A propos Vollzeitstelle — du schreibst ja derzeit an deiner Dissertation. Womit beschäftigst du dich da?
Ich analysiere für meine Doktorarbeit die Strukturen von Internet-Wörterbüchern, mit dem Ziel, ein möglichst benutzerfreundliches Wörterbuch zu entwickeln.
Gibt es da eine Verbindung zur Anglizismus-des-Jahres-Wahl?
Mit der Anglizismus-des-Jahres-Wahl hat das nicht sehr viel zu tun – ich habe aber immer wieder gemerkt, dass neu aufgekommene Anglizismen (und nicht nur diese) nur sehr selten auch in Internet-Wörterbücher aufgenommen worden sind. Schade eigentlich: Gerade wenn sie noch nicht so geläufig sind, ist doch die Chance groß, dass jemand diese Wörter nach der ersten Begegnung nachschlagen muss.
Du beschäftigst dich ja nicht nur in deiner Forschung mit Wörtern und Wörterbüchern, sondern du bloggst auch regelmäßig im lexikographieblog. Wie bist du zum Blogger geworden?
Das Lexikographieblog ist für mich eine Motivation, manchen Fragen nachzuforschen, die sonst vielleicht unbeantwortet geblieben wären; manche Ideen weiterzuentwickeln, die ich sonst vielleicht nur halb durchdacht hätte; aber auch, manche Gedanken loszuwerden, die mich sonst unnötigerweise noch länger beschäftigt hätten. Und manchmal ist es auch einfach notwendig, Dinge klarzustellen — ich verweise da gerne auf diesen sehr wahren Cartoon bei xkcd.
Welche Themen beschäftigen dich besonders?
Viele meiner Beiträge beschäftigen sich natürlich – wie der Name und meine Tätigkeit ahnen lassen – mit Wörterbüchern, aber auch alle möglichen Spezialitäten und Kuriositäten der (meist deutschen) Sprache werden immer mal gerne thematisiert. Meistens fällt mir einfach irgendwann mitten im normalen Leben was auf und das beschäftigt mich dann so lange, bis es durchdacht, ausformuliert und der ganzen Welt kundgetan ist.
Wir sind ja unter uns, deshalb kannst du ehrlich sein: Stören dich Anglizismen nicht auch manchmal?
Ja, manche Anglizismen bräuchte es meinetwegen auch nicht. Genauso wie manche Musikrichtungen, manche Fernsehsendungen und manche sonstigen Entwicklungen der Popkultur, und ebenso wie manche Verkehrsregeln, manche politischen Parteien und, und, und. Aber, auch wenn das jetzt pathetisch klingt: Die Freiheit, sagen zu können, was man will, ist wichtiger als der persönliche Geschmack. Ich habe auch nichts gegen Leute, die versuchen, Anglizismen zu verdeutschen: Verdeutschungen oder Bedeutungserweiterungen deutscher Wörter unter dem Einfluss anderer Sprachen sind dem Deutschen keineswegs fremd. Ebensowenig fremd ist aber die Übernahme (und schrittweise Integration) von Wörtern aus anderen Sprachen; an die meisten davon haben wir uns inzwischen so sehr gewöhnt, dass sie uns gar nicht mehr auffallen. Und gerade weil Anglizismen zu meinem „Hobby und Beruf“ Sprache gehören, lohnt es sich für mich besonders, einmal nachzuforschen, warum ein bestimmter Anglizismus mir (auch negativ) auffällt. Und dann wird’s häufig interessant und es zeigt sich, dass der Anglizismus und ich doch noch Freunde werden können. Oder wenigstens gute Nachbarn. Und wenn’s ganz, ganz schlimm wird – dann verwende ich das Wort einfach nicht (ich bin mir zum Beispiel relativ sicher, dass man mich nie, außer ironisch, das Wort „voten“ wird sagen hören).
Aber hast du denn wirklich gar keine Angst, dass die deutsche Sprache durch die Anglizismen Schaden nimmt?
Nein. Was für eine blöde Frage.
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