Aus ca. 50 verschiedenen Vorschlägen für den Anglizismus des Jahres 2016 hat die Jury eine Shortlist erstellt, bei der wir das (durchaus subjektive Kriterium der „interessanten Ergänzung des deutschen Wortschatzes“) ebenso berücksichtigt haben, wie das wissenschaftlichen Kriterium der Verbreitung im deutschen Sprachgebrauch. Diese Verbreitung haben wir in diesem Jahr erstmals in Kooperation mit dem Digitalen Wörterbuch der Deutschen Sprache gemessen, und konnten so auf eine breitere und aktuellere Textgrundlage zurückgreifen als in früheren Jahren. Neben der Texthäufigkeit haben wir, wie schon immer, auch die Häufigkeit der Suchanfragen für die Wörter über Google Trends als Maß für die Verbreitung hinzugezogen.
Und hier, in alphabetischer Reihenfolge, die zehn Wortkandidaten, die es in die Endrunde geschafft haben:
(Anti-)Establishment. In der Begründung für die Nominierung wurde vermutet, dass das Wort Establishment eine Umdeutung durch Rechtspopulisten erfahren habe und sich nun gegen die eher linken, progressiven Kräfte richte, die sich früher ihrerseits als Anti-Establishment gesehen hätten. Der Jury erschien das plausibel, allerdings ließ sich keine Veränderung in der Häufigkeit nachweisen. Das Suchinteresse nahm im Oktober/November 2016 kurz stark zu, möglicherweise im Rahmen der Wahl in den USA, bei der Donald Trump sich als Kandidat gegen das Establishment inszenierte. Fazit: Ein Kandidat, den wir im Auge behalten werden, der aber 2016 trotz gegenteiliger Erwartungen keine herausgehobene Rolle im deutschen Sprachgebrauch gespielt hat
Brexit/-(e)xit. Das Wort Brexit hat im Zuge des EU-Referendums in Großbritannien einen starken Häufigkeitsanstieg erfahren, auch das Suchinteresse nahm anlassbezogen zu. Vor allem aber setzt sich der Trend einer zunehmenden Verwendung des Elements -(e)xit zur Neubildung von Wörtern fort, der schon im Vorjahr zu beobachten war und im letzen Jahr mit einem zweiten Platz für die Nachsilbe gewürdigt wurde. Nicht nur mögliche Austritte von Ländern aus der EU wurden damit benannt (z.B. Czexit (Tschechien), Nexit (Niederlande), Öxit (Österreich) – auch übertragene Verwendungen wie Fexit (Rauswurf aus der Formel 1), Ehexit (Scheidung) oder Zlexit (Zlatan Ibrahimovics Abschied aus der Schwedischen Nationalmannschaft) finden sich. Fazit: Brexit war zwar charakteristisch für 2016, erfüllt aber als Eigenname nicht die Kriterien des Wettbewerbs. Die Nachsilbe –(e)xit ist dagegn wieder ein starker Kandidat.
Darknet. Netzaffinen Menschen schon lange bekannt, hat sich Darknet 2016 als emotional belegtes Schlüsselwort für die „dunklen Seiten des Netzes“ auch in der breiteren Öffentlichkeit etabliert, befeuert unter anderem durch die Tatsache, dass der rechtsextreme Terrorschütze von München seinen Waffe im Darknet gekauft hatte. Die Texthäufigkeit hat 2016 sprunghaft zugenommen, auch in zusammengesetzten Wörtern wie Darknet-Browser/-Plattform/-Experte/-Markt usw. Auch das Suchinteresse war Mitte des Jahres stark, ist aber seither wieder abgeflacht. Fazit: Ein starker Kandidat, mit dem die Jury sich auf jeden Fall noch genauer befassen muss!
Fake News. Das Wort taucht sporadisch schon seit 2004 auf, um Urban Legends und Hoaxes zu benennen. Ein starker und nachhaltiger Anstieg in der Texthäufigkeit und im Suchinteresse seit Oktober 2016 geht einher mit einer Bedeutungsverschiebung hin zu politischer Propaganda und Desinformationskampagnen. Anders als diese etablierten Begriffe scheinen die Fake News eine Art Graswurzel-Propaganda zu bezeichnen, die sich erstens nicht um Kohärenz und Glaubwürdigkeit kümmert, und sich zweitens vor allem über soziale Netze verbreitet wird. Eindeutschungsversuche wie Falschmeldung oder Falschnachricht gehen bislang an der Bedeutung vorbei, da sie ja eher versehentliche Unwahrheiten bezeichnen als bewusst gestreute Nachrichtenfälschungen. Fazit: Das Wort kam 2016 zwar sehr spät, ist aber eines der kennzeichnenden Wörter des Jahres und damit ein starker Kandidat.
Hate Speech. Das Wort bezeichnet ein Phänomen, das einerseits Ähnlichkeiten zum Tatbestand der Volksverhetzung, andererseits aber auch zur Beleidigung und Herabwürdigung von Individuen oder Gruppen aufweist. Da es im öffentlichen Diskurs eher ein alltagssprachliches Wort ist, als ein juristischer oder sprachwissenschaftlicher Fachbegriff, hat es eine gewisse Unschärfe, die Debatten um den Umgang mit Hate Speech eine zusätzliche Schärfe verleiht. Das Wort ist schon 2015 gehäuft aufgetreten, Texthäufigkeit und Suchinteresse haben aber 2016 noch einmal deutlich zugenommen. Eine allgemeine Eindeutschung (Hassrede) konnte sich bislang nicht durchsetzen – teilweise wohl, weil das Wort Hassrede bereits als Synonym für Hasspredigt im Gebrauch ist, aber deutsche bzw. Deutsch-englische Unterbegriffe wie Hassposting und Hasskommentar haben sich bereits etabliert. Fazit: Wie Fake News und Darknet kennzeichnend für die Debatten des Jahres 2016 und damit ein starker Kandidat.
Horrorclown. Das Wort findet sich vor 2016 nur sehr punktuell und bezeichnet dort nie die wohl erst 2016 aufgekommene Praxis, sich eine Clownsmaske aufzusetzen und Passant/innen anzugreifen. Im Sprachgebrauch und in Suchanfragen findet es sich 2016 gehäuft, allerdings war die Ausbreitung im Sprachgebrauch klar anlassbezogen und hat stark nachgelassen. Das Wort ist außerdem hauptsächlich in Pressetexten zu finden, was darauf hindeutet, dass es sich bei den Horrorclowns eher um eine medial gut inszenierbare Story als um ein für die breite Sprachgemeinschaft wichtiges Thema handelte. Fazit: Eindeutig ein charakteristisches Wort für 2016, aber (noch) nicht verbreitet genug um als Favorit ins Rennen zu gehen.
Influencer. Bezeichnet in der Subkultur der Public Relations Menschen, deren Meinungen die Meinungen anderer beinflussen. Der Jury vor allem duch einen starken Anstieg der Texthäufigkeit in Netztexten aufgefallen – auch das Suchinteresse ist 2016 deutlich angestiegen. In Zeitungstexten ist das Wort aber selten, was darauf hindeutet, dass das Wort eher ein Fachbegriff in einer relativ kleinen Gruppe als ein etabliertes Lehnwort in der Sprachgemeinschaft insgesamt ist. Fazit: Wohl eher ein Außenseiter, aber wer weiß, welche Influencer sich in den nächsten Wochen vielleicht noch für dieses Wort stark machen.
Mainstream. Wie beim Establishment vermutete der Nominierende, dass das Wort mit der zunehmenden Rolle populistischer Bewegungen eine steigende Verbreitung erfahren haben dürfte. Obwohl der Jury das plausibel schien und scheint, lässt sich aber keine Veränderung der Texthäufigkeit oder des Suchinteresses beobachten. Wir vermuten aber, dass das Wort (wie auch Establishment) eine eher qualitative Veränderung durchlaufen haben könnte und nun häufiger als pauschaler Begriff zur Kritik an allem Bestehenden verwendet wird. Fazit: Ein Außenseiter, aber vielleicht einer, der uns noch überraschen kann.
Millennials. Wird seit einiger Zeit verwendet, um über die ab 1982 (manchmal auch erst später) Geborenen zu sprechen. Der Anstieg 2016 hängt mit der Ursachensuche für das Brexit-Votum und vor allem die US-Wahl zusammen. Dabei interessant: Während Millennials gerade in den US-Medien als Sündenböcke für alles Mögliche und damit als Synonym des abwertenden „die Jugend von Heute“ herhalten, hat das Wort im Deutschen erstmals in einem positiven Sinne eine stärkere Verbreitung erfahren – nämlich im Zusammenhang mit der Erkenntnis, dass Clinton die Wahl haushoch gewonnen hätte, wenn nur die Millennials gewählt hätten. Ein Anstieg in der Texthäufigkeit lässt sich beobachten, allerdings ist das Wort insgesamt noch nicht sehr häufig. Im Suchinteresse zeigt sich ein starker aber punktueller Anstieg im November. Fazit: Aus kultureller Sicht ein interessanter Kandidat, allerdings im Deutschen noch nicht sehr breit verwendet.
Social Bot(s). Jüngster Hoffnungsträger für diejenigen, die den Zerfall des politischen Diskurses gerne dem Internet in die Schuhe schieben wollen. Social Bots wird zugetraut, Wahlentscheidungen zu beeinflussen – einem Gentlemen’s Agreement, Social Bots im Wahlkampf nicht einzusetzen, konnte sich deshalb jüngst nicht einmal die AfD entziehen. Das Wort ist durchaus charakteristisch für das Jahr 2016, es taucht vorher so gut wie nirgends auf. Allerdings ist es (noch) so selten, dass es in diesem Jahr möglicherweise einfach zu früh ins Rennen geschickt wurde. Fazit: Wiedervorlage 2017.